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Die Einstellung von Menschen mit körperlichen Einschränkungen bei der Herzog-Bau GmbH hat dazu geführt, den Horizont eines menschlichen Umgangs miteinander zu erweitern und ein besseres Verständnis aller Kolleginnen und Kollegen füreinander zu schaffen. © Herzog-Bau GmbH
6. November 2019

Inklusion bei der Herzog-Bau GmbH: „Wir haben eine neue Vielfalt gewonnen!“

Die im thüringischen Tüttleben ansässige Herzog-Bau GmbH hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach durch ihr zukunftsfähiges Personalmanagement ausgezeichnet. Auf Initiative des Geschäftsführers und Vorsitzenden des Ausschusses für Personalentwicklung beim Rohrleitungsbauverband e. V., Armin Jordan, hat sich das Unternehmen nun auch intensiv mit dem Thema Inklusion am Arbeitsplatz auseinandergesetzt. Die Beschäftigung von drei Menschen mit körperlichen Behinderungen hat man bei Herzog-Bau als Chance für das gesamte Unternehmen begriffen und ergriffen, um den Horizont eines menschlichen Umgangs miteinander zu erweitern und ein besseres Verständnis aller Kolleginnen und Kollegen füreinander zu schaffen.

Herr Jordan, das Thema Inklusion findet vielerorts in der Arbeitswelt keinerlei Berücksichtigung. Was hat bei der Herzog-Bau GmbH den Ausschlag gegeben, verstärkt Menschen mit körperlichen Einschränkungen zu beschäftigen?

Hier muss ich zunächst ein bisschen ausholen. Ohne die hohe Leistungsfähigkeit und den motivierten Einsatz ihrer Mitarbeiter könnten die Mitgliedsunternehmen des Rohrleitungsbauverbandes im Wettbewerb niemals bestehen. Deren fundiertes Fachwissen ist eine wesentliche Grundvoraussetzung für den Fortbestand des Unternehmens und die Sicherung von Arbeitsplätzen. Somit gehört Personalmarketing zu einem zentralen Bereich der Unternehmensführung. Heute ist es aber nicht mehr allein über berufsbezogene Schulungen und Fortbildungen oder über eine überdurchschnittliche Vergütung möglich, Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden. Hier kommen mittlerweile viele andere Faktoren zum Tragen. Von daher haben wir uns im Ausschuss für Personalentwicklung vielfältig mit dem Thema der Mitarbeitergewinnung und -bindung auseinandergesetzt. Wie können wir ein Umfeld schaffen, in dem ein Mitarbeiter angenommen wird und seine Arbeitskraft vertrauensvoll und loyal zur Verfügung stellt? In genau diese Richtung haben wir entscheidende Weichen gestellt. „Auftrag Mensch“ bringt diesen Anspruch exakt auf den Punkt.

Bei Herzog-Bau haben wir dann damit begonnen, neue Wege in Richtung eines zukunftsfähigen Personalmanagements einzuschlagen – alle Mitarbeiter haben eine Grundsatzerklärung zum Arbeitsschutz unterschrieben. Hierin ist klar geregelt, dass der Mensch an erster Stelle bei Arbeitsschutz, Gesundheitsförderung und Prävention steht. Sodann haben wir uns um eine Anerkennung des Unternehmens im Rahmen des Nachhaltigkeitsabkommens des Landes Thüringen bemüht. Bei der Beschäftigung mit den hier abzuarbeitenden Themen wurde uns bewusst, dass wir erst am Anfang einer Entwicklung stehen. Erste Vorschläge aus den eigenen Reihen machten dann nicht nur den Wettbewerb auf uns aufmerksam, sondern veränderten auch die Wahrnehmung von Bauherren und Politik. Was folgte, war auch eine gestiegene mediale Aufmerksamkeit für die Veränderungen bei Herzog-Bau. Die ersten Artikel in der Zeitung berichteten über unsere Planungen eines Betriebstrimmpfades, den Volleyballplatz, den Fitnessraum, Physiotherapie, Billard, Kicker oder über unseren Schulungsraum. Die dann folgende Übergabe der Urkunde im Rahmen des Nachhaltigkeitsabkommens durch den Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft des Landes Thüringen, Wolfgang Tiefensee, war nicht nur ein starker Titel in der Lokalpresse, sondern hat unseren Mitarbeitern den Blick erweitert. Entscheidend an dieser Stelle ist es, dass die Matrix des Nachhaltigkeitsabkommens eine Beschäftigung von Menschen in allen Facetten miteinschließt.

Hier lag der Ansatz, nun auch über Inklusion in Ihrem Unternehmen nachzudenken?

Ja, auf einer Betriebsversammlung wurde der Ansatz vorgebracht, unseren Betrieb bunter zu machen, indem wir auch Menschen mit Behinderung einsetzen. Hierüber war ich zunächst überrascht, aber auch erfreut. Schnell war der Entschluss gefasst: „Das machen wir!“ Nun, nachdem wir drei Kollegen mit hundertprozentiger Schwerbehinderung, darunter einen Rollstuhlfahrer, eingestellt haben, ist deutlich zu spüren, dass diese Entscheidung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein höheres Maß an gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung mit sich bringt. Mittlerweile sind die drei Mitarbeiter vollkommen bei uns integriert und erfüllen ihren Arbeitsauftrag. Sogar das MDR-Fernsehen hat bereits über diese Entwicklungen in unserem Unternehmen und über die drei neuen Mitarbeiter berichtet.

Um Menschen zu beschäftigen, die z. B. auf einen Rollstuhl angewiesen sind, müssen auch bauliche Veränderungen in Bezug auf Barrierefreiheit oder bei den sanitären Anlagen vorgenommen werden.

Ja, das ist korrekt. Hier galt es zunächst ganz offensichtliche Barrieren zu beseitigen. Es mussten ebenerdige Zugänge geschaffen werden, elektrische Türöffner installiert werden, im Treppenhaus muss selbstverständlich ein Fahrstuhl zur Verfügung stehen und alle Schreibtischarbeitsplätze und sanitären Anlagen mussten bedarfsgerecht umgebaut werden. Hier haben wir aber vor dem Hintergrund der gesetzlichen Vorgaben durch das Bundesteilhabegesetz Unterstützung durch das Arbeitsamt sowie durch das Rentamt erhalten. Das Arbeitsamt hat mit uns gemeinsam den Bedarf ermittelt und die erforderlichen Umbauten geplant und umgesetzt. Insgesamt wurden Umbauten in Höhe von 110.000 Euro durchgeführt, die direkt über den Kostenträger des Arbeitsamtes abgewickelt wurden. Darüber hinaus erstreckt sich die finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite auf einen Eingliederungszuschuss über bis zu 60 Monate. All dies hat uns dazu bewogen, den Schritt zu wagen und diese Chance zur Weiterentwicklung unseres Betriebes nicht verstreichen zu lassen.

Ist eine solche finanzielle Unterstützung vonseiten staatlicher Stellen nicht mit einem sehr hohen bürokratischen Aufwand verbunden?

Der Vorgang ist tatsächlich ein bisschen zäh. Da aber Inklusion derzeit ein bisschen zum Modewort geworden ist und behördliche Stellen sich sehr gerne mit der Erfüllung der Vorgaben des Bundesteilhabegesetzes schmücken, kann man sagen, dass wir den Zeitpunkt der Umsetzung gut gewählt haben. Um den gesamten Vorgang zu beschleunigen, hatten wir den staatlichen Förderern zudem angekündigt, uns an die Medien zu wenden, falls unser Anliegen nicht mit dem nötigen Ernst unterstützt würde. Aber auch intern mussten sich unsere Vorgesetzten im Vorstand und Aufsichtsrat zunächst Ihrer Verantwortung bewusst werden, um unsere Anliegen ausreichend ernst zu nehmen.

Kann die Beschäftigung behinderter Menschen an der ein oder anderen Stelle – dort, wo es passt – auch eine Antwort auf den Fachkräftemangel in Unternehmen sein?

Unbedingt – uneingeschränkte Zustimmung. Wie bei jedem anderen sind alle Einsätze im Büro nach Anforderung und Ausbildung möglich.

Häufig befinden sich die größten Barrieren in den Köpfen. Viele Menschen glauben, dass behinderte Arbeitnehmer weniger belastbar und leistungsfähig seien. Ist das tatsächlich der Fall?

Wir verfolgen bei Herzog-Bau das Ziel, jedem Menschen eine erste Chance zu geben und jeden dort abzuholen, wo es nötig ist. Jede Neueinstellung ist doch immer ein bisschen ungewiss. Anfangs schaut man jedem nur vor den Kopf, ob mit oder ohne Behinderung. Jeder Mensch hat seine Eigenheiten, dazu zählen Stärken genauso wie Schwächen. Die Schwächen der Menschen mit Behinderung scheinen offensichtlich – diese sind aber nur körperbedingt. Die Einsatzmöglichkeit muss begleitet werden. Im Rahmen der Behinderung sind Einschränkungen vorhanden. Wir haben daher die Arbeitszeit den Möglichkeiten angepasst und haben Verträge abgeschlossen mit 15 und 30 Stunden je Woche.

Welche Auswirkungen auf das Betriebsklima der Herzog-Bau GmbH hat die Integration eingeschränkter Kolleginnen und Kollegen?

Durch die Einstellung von Menschen mit Behinderungen ist es uns gelungen, allen das Gefühl zu geben, etwas Gutes zu tun. Das neue Umfeld schafft ein ausgewogenes Klima. Ich habe den Eindruck, dass wir durch die neu gewonnene Vielfalt eine ganz neue Form von Bodenständigkeit im Betrieb erreicht haben, quasi eine Konzentration auf das Wesentliche. Für alle Beteiligten erweitert sich der Horizont des menschlichen Umgangs und des Verständnisses für einander. Der gegenseitige Respekt ist spürbar. Ansonsten gibt es unter den Kollegen die gleichen zwischenmenschlichen Für und Wider des Miteinanders, wie es in allen Betrieben normal ist.

Bringen diese Kollegen auch neue Ideen und ungewohnte Perspektiven mit in den beruflichen Alltag? Verändert sich das Unternehmen für alle?

So bunt wie der Regenbogen, so bunt werden die Perspektiven. Verschiedene Dinge werden aus der vorherigen Abwicklung ntensiver in der Wahrnehmung. Es ist mir eine besondere Freude, dass meine Kollegen das ebenso spüren und daran teilnehmen wie ich selber.

Erwarten Sie von Ihrem Ansatz auch eine positive Strahlkraft in Richtung anderer Unternehmen in der Region? Sind Sie Vorreiter?

Hoffentlich ist das so. Gern sind wir auch Vorreiter und stellen uns allen Fragen für eine gemeinschaftliche Wahrnehmung der vielfältigen Farben und der Ernsthaftigkeit und Verantwortung den Menschen gegenüber, die nicht das Glück hatten, keine Einschränkung durch eine Behinderung zu haben.

Weitere Informationen und Kontakt

www.herzogag.de/herzog-bau-gmbh-tuettleben
armin.jordan@herzog-bau.de